Die Digitalisierung erfasst alle Lebensbereiche unseres Alltags und zunehmend auch die Jagd. Immer mehr Jäger setzen auf digitale Helferlein im Wald. Schon längst ist es nicht mehr nur das Smartphone, das neben einem auf dem Hochsitz liegt. Anbieter versprechen mit digitaler Technik mehr Durchblick, präzisere Treffer, mehr Jagderfolg. In unserem aktuellen Experteninterview unterhalten wir uns aus diesem Grund mit dem Digitalisierungsexperten Thomas Rödding über die Digitalisierung der Jagd.

Was bedeutet Digitalisierung eigentlich für das Jagdwesen, wenn man mal ein paar Jahre in die Zukunft schaut? Das Team Deutscher Jagdblog möchte sich dieser Frage widmen und Orientierung bieten. Orientierung, wie der einzelne Waidmann in der rasant sich entwickelnden digitaler werdenden Jagd für sich persönlich Pro und Contra abwägen kann.

Denkfutter tragen wir im gemeinsamen Gespräch zusammen: Der Autor Michael Gast traf Thomas Rödding, der im hauptberuflichen Leben Strategieberater für Digitalisierung ist.

Thomas Rödding schreibt seit über 30 Jahren digitale Geschichte. Der Clou dabei: Der Mann ist 47. Mit 15 Jahren machte sich Thomas selbständig, und verhalf Unternehmen zu den ersten intelligenten digitalen Nutzersystemen. In der Druck- und Medienindustrie wurde er mit seinem Unternehmen in den darauffolgenden Jahren federführend in der Erstellung von intelligenten Software-Systemen. Maßgeblich beeinflusst hat er viele Aspekte zur Digitalisierung in der Druckindustrie, die heute aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken sind. Bspw. die Online-Bestellung und Personalisierung von Visitenkarten und Fotobüchern. Sein fast 20 Jahre gereiftes Softwareunternehmen verkaufte er 2008 erfolgreich an den börsennotierten Konzern Cewe Color. Als sein Unternehmen in den Konzern integriert war folgte eine längere Auszeit. Seit 2013 führt er die Geschäfte der ZifferEins GmbH & Co. KG, die für Mittelstand und Konzerne Strategieberatung zu Digitalisierung, Kommunikation und Geschäftsmodellen bietet. Viele Jahre zwischen Deutschland und den USA pendelnd, wuchs mit Anfang 40 der Wunsch, Wurzeln zu schlagen. Dies tat Thomas im Wald. Er ist Jäger, Revierpächter, ist im Jagdbildungs- sowie Verbandswesen rege, ließ sich zum bestätigten Nachsucheführer, in der Ballistik und in vielen weiteren Feldern des Jagd- & Forstwesens aus- und weiterbilden. Thomas spricht sich für einen optimistisch-reflektierten Umgang mit der Digitalisierung aus. Heißt im Klartext: Nicht alles, was man digitalisieren kann, sollte man auch digitalisieren. Sein Credo dazu: Immer mit Augenmaß.

IST DAS SCHON DIGITAL ODER KANN DAS WEG?
EIN GESPRÄCH ÜBER DIGITALE ENTWICKLUNGEN IN DER JAGD

Michael Gast: Thomas, alle reden über Digitalisierung. Kaum einer kann aber doch wirklich sagen, was das eigentlich ist?

Thomas Rödding: Stimmt, es existiert mittlerweile ein Urwald an Definitionen. Um aus den Hunderten von Beschreibungen ein klareres Bild von der Digitalisierung zu gewinnen, setzen wir mal zwei verschiedene Brillen auf:

Etwas digitalisieren meint aus Fachsicht, Informationen in eine bestimmte Datenform aus Zahlen (engl. Digit = Ziffer) zu verpacken, die ortsungebunden gespeichert werden. Diese Daten können wir verändern, kopieren, verschieben, löschen, als ob sie in einer Art Parallelwelt existierten.

In der „analogen Welt“ mussten wir z. B. noch einen Bauplan händisch kopieren. Informationen mussten also physisch vorliegen und waren ortsgebunden. Der Bauplan konnte auch zerstört, bspw. verbrannt werden, Dann war er weg. Wenn wir etwas digitalisieren, erreichen wir dagegen ein nahezu beliebiges Kopieren von Informationen und Speichern derselben Information an zahllosen Orten gleichzeitig.

Zitat Experteninterview I

Die zweite Brille ist aber viel spannender. Sie betrachtet die Digitalisierung aus ihrer Kraft heraus, Menschen und ihr Verhalten kolossal zu verändern. Digitalisierung ist fast gleichzusetzen mit einer veränderten Art und Weise, Dinge zu nutzen: So informieren wir uns über Smartphone-Apps, suchen in Online-Portalen, sprechen und schreiben mit zig Menschen gleichzeitig. Wir verlinken, verdrahten, vernetzen. Wir können zig mehr Informationen in einer schnelleren Zeit aufnehmen als früher. Ob dies uns immer gut bekommt, steht auf einem anderen Blatt.

Michael Gast: Wo ist denn die Digitalisierung heute nicht mehr wegzudenken?

Thomas Rodding: Ganz ehrlich? In eigentlich jedem Bereich, in dem Menschen aufeinandertreffen und Dinge zusammen gestalten und organisieren.

Jedes Unternehmen rüstet sich heute digital auf. Die Technik wächst dabei häufig schneller, als die Bildungsangebote nachkommen. Was zur abstrusen Situation führt, dass viele Unternehmen über digitale Systeme verfügen, mit denen Arbeitnehmer gar nicht so recht umzugehen wissen.

Zitat Experteninterview II

Aber auch in unseren privaten Räumen vernetzt und verdrahtet sich alles und jeder miteinander – ob Alexa mit unserer Einkaufsliste, unser Auto mit der Werkstatt oder bald unsere Waschmaschine mit Amazon, da das Waschmittel ausgeht.

Michael Gast: Alles klar, verstanden! Aber was ist mit der Jagd? Unserem Rückzugsort ins Natürliche. Hat die Digitalisierung hier auch schon Wurzeln geschlagen?

Thomas Rödding: Klar, in der Jagd wird es sichtbar digitaler. Das beginnt beim Abrufen des Wetterberichts über Dein Smartphone und geht weiter über das Digitalisieren von Techniken, die ehedem analog funktionierten: Zielfernrohre, Nachtsichtgeräte usw.

Auch die Behörden schlafen nicht. Das NRW-Gesetz „Gesetz zur Förderung der elektronischen Verwaltung in Nordrhein-Westfalen“ zeigt beispielhaft auf, wohin die Reise geht – nämlich die Volldigitalisierung der Kommunikation zwischen Jagdbehörden, Waffenbehörden und Veterinärbehörden. Mehr und mehr auch mit dem Bürger.

Michael Gast: Ok, und ist das nun gut oder schlecht für das Jagdwesen?

Thomas Rödding: Gegenfrage: Macht diese Entwicklung Sinn und haben wir hinsichtlich der Konsequenzen ausreichend darüber nachgedacht?

Michael Gast: Das klingt aber akademisch! Was meinst Du?

Thomas Rödding: Also, nach meiner Erfahrung wird Digitalisierung häufig wie ein Lichtschalter verstanden: Licht ist an oder Licht ist aus. Digitalisierung an sich ist aber weder gut noch schlecht. Sondern unser Handeln entscheidet über die Ergebnisqualität der Digitalisierung. Das Augenmaß hilft, bewusst zu gestalten, was wir in welcher Breite und Tiefe wie genau digitalisieren.

Michael Gast: Welche digitalen Entwicklungen in der Jagd siehst Du denn tendenziell positiv?

Thomas Rödding: Wir haben viele Bereiche in der Jagd, wo digitale Unterstützung Sinn macht. Als erstes fällt mir da die Jungjägerausbildung ein. Wer von uns alten Jagdhasen wäre denn nicht froh gewesen über eine Lernunterstützung? Viele gute Lern-Apps bieten genau dies.

Generell spricht die Digitalisierung ja die neue Jäger-Generation voll an: Jäger werden jünger. Jüngere Menschen bringen eine andere Selbstverständlichkeit im Umgang mit Technik mit. Salopp gesagt: mehr Menschen mit weniger Hemmungen der Technik gegenüber werden Jäger.

Dann schau Dir die Allrounder-Apps mit Wetter, Revierkarte und Jagdzeiten all-inclusive an. So etwas hat sich in vielen Jägerhänden schon bewährt. Auch ein digitales Jagdtagebuch, bei dem eine Jagdgemeinschaft die bestätigten Böcke untereinander mit ihren Beobachtungen teilt, macht viel Sinn.

Spannend wird es auch da, wo Digitalisierung Dinge ermöglicht, die schlicht vorher unmöglich waren: Wer schon mal durch ein modernes (digitales) Wärmebildgerät gesehen hat, weiß sofort, was spannend an dem Vergleich zum normalen Fernglas ist. Und wer dank digitaler Zusammenarbeit zwischen Drückjagdschütze und Nachsuche häufigeren Erfolg erlebt hat, wird sich auch im Empfinden der Waidgerechtigkeit dem spannenden und nützlichen kaum entziehen können.

Michael Gast: Da bewegt sich echt eine Menge. Ohne Dich älter zu machen, als Du bist, aber Du hast ja bereits eine ganze Branche mit aufgebaut und technisch begleitet: Internet-Druck in der Druck- & Medienindustrie. Aber magst Du mal Glaskugel spielen und Entwicklungsprognosen für die Jagd anstellen?

Thomas Rödding: Ach, so prognostisch ist das gar nicht! Du siehst doch jetzt schon, wie viele Anbieter für Wildkameras, Fallenmelder und Apps mit immer mehr Funktionen auf den Markt strömen, gleichzeitig entsteht ein Dschungel mit digitalen Produkten.

In der Druckindustrie durfte ich 20 Jahre verfolgen, wie sich „Digitalisierung“ entwickelte. Lass mich mal einen Vergleich wagen: Hätte mir jemand 1989 beschrieben, dass ich ein eigenes Buch mit meinen Fotos von meinem PC zuhause binnen Minuten dank Softwareassistenten gestalten und dann über Internet bestellen könnte, so dass davon genau ein Exemplar gedruckt würde, hätte ich wohl recht dumm geguckt. Viele hätte zahlreiche Gründe gefunden, warum das nicht geht und auch keinen Sinn macht. Aber genau das ist geschehen.

Diese Entwicklung wird uns auch in der Jagd erreichen: statt einzelner Geräte wird es vernetzte Systeme geben, die miteinander kommunizieren und Informationen über ganze Infrastrukturen austauschen. So bspw. heute schon ansatzweise in der Rehkitzrettung, der Reviervermessung, der Wildschadendokumentation oder dem Erntejagdgeschehen. Letzte Woche besuchte ich die Farm & Food 4.0 in Berlin – eindrucksvoll zeigt sich, wie Landwirte an diesen Themen arbeiten.

Streng genommen ist der Markt noch im Kindesalter. Aber es wird eben – für eine breite Masse von Technikmenschen – immer einfacher und auch preiswerter, mit Technologie etwas zu entwickeln und immer breitere Anwendungsfelder zu erschließen. Wenn also das Konstruieren von Soft- und Hardware immer leichter wird, sinkt der Aufwand, mehr Menschen können es und mehr Anwendungen werden wirtschaftlich attraktiv, die sonst einfach ein „zu kleiner Markt“ geblieben wären.

Michael Gast: Klingt alles recht dynamisch. Heißt das dann auch, dass Jagd intelligenter wird?

Thomas Rödding: Stichwort Künstliche Intelligenz meinst Du? Da habe ich eine recht eindeutige Meinung. Klar bin ich in Themen zur künstlichen Intelligenz, von Berufs wegen schon, recht tief drin. Aber als Waidmann gefragt, kann ich Dir dazu nur den Vergleich mit der natürlichen Intelligenz ans Herz legen. Diese meint unser Vermögen, in größter Not uns immer noch was einfallen zu lassen. Hirn rettet Hintern, wenn Du so willst.
Wenn wir in der Jagd die Grenze überschreiten, wo Sinnhaftigkeit und Nützlichkeit aufhört und Fahrlässigkeit anfängt, werden wir ein Problem bekommen.

Michael Gast: Kannst Du unseren Lesern hier ein passendes Beispiel geben?!

Thomas Rödding: Ok, nimm was ganz Banales. Jüngst entdeckte ich in meinem Recherchedrang einen Anbieter namens http://www.getthedefender.com. Die bringen ein Pfefferspray auf den Markt. Soweit nichts Besonders. Das Ding hat aber eine eingebaute Kamera, inklusive GPS-Datenübertragung und – ganz Servicenatur – einem Abo für das Monitoring. Du kannst für Deine Familie können für nur 479 US-Dollar drei Sprays für die Familie kaufen und für jedes sind schon 12 Monate Leitstellenüberwachung mit bezahlt.

Drückst Du den Knopf, macht das Spray den eingebauten Blitz an, fotografiert mit der eingebauten Kamera, übertragt alles via GPS über Dein Handy an die Leitstelle und löst Alarm aus. Nebenbei kriegt der Angreifer natürlich auch das Reizgas ins Gesicht.

Zitat Experteninterview III
Zitat Experteninterview IV

Jetzt übertrag das auf Dein Jagderlebnis: Nicht das Reizgas, aber die Vorstellung einer Live-Bildübertragung auf Deinem YouTube-Channel, bei dem Deine Freunde dann Dich auf der Karte und mit Dir live durch das Absehen sehen können. Jagen mit Big Brother, sozusagen.

Michael Gast: Wie kann denn der Waidmann dieser Entwicklung reflektiert gegenüberstehen und sich verhalten?

Thomas Rödding: Aus Sicht eines einzelnen Menschen lockt die Digitalisierung vor allem mit einem Sirenengesang: Sie macht alles so verdammt bequem! Das kann uns keiner übelnehmen, so sind wir Menschen. Aber wir stehen in einer Selbstverantwortung, zu entscheiden, was wir unterstützen und was nicht. Ich will hier nicht wie der Klassensprecher des Waldes klingen, aber ich sehe die Notwendigkeit, sich nicht allein auf Produkte zu konzentrieren. Derzeit geht es ein wenig nach dem Motto: Ach, ist das Teil schon digitalisiert oder kann es weg? Genau so darf es in einem traditionellen Handwerk, was die Jagd eben ist und bleibt, nicht laufen.

Wir brauchen im derzeitigen Marktstadium deutlich mehr Wissen und damit Aufklärung für die Anwender. Solide Übersichten, Orientierungen, Hintergrundwissen. Wie im Alltag auch: Hier müssen Menschen im Zuge der Digitalisierung eben auch die Grundkompetenz erlernen: Wann bin ich online, wann offline?

So ein bisschen ist es der Ruf nach dem Big Picture, dem Überblick, wo die Digitalisierung in der Jagd hinsteuert. Und wie man sich als Jäger und Jagdverantwortlicher innerhalb dieser Entwicklung aufstellen möchte.

Mit Digitalisierung werden wir viel Gutes im und für das Jagdwesen schaffen können. Doch auch Jäger sollten in der Digitalisierung nicht das Kleingedruckte übersehen. Reflektion und das Aufstellen von sinnvoll geleiteten Maximen funktioniert in einer digitalisierten Welt – auch der des Jägers – wie eine Firewall: Was nicht im Sinne der Waidgerechtigkeit ist, wird rausgeschmissen. Egal ob analog oder digital.

Michael Gast: Was würdest Du empfehlen, um einen Überblick zu bekommen? Warum ist das wichtig?

Thomas Rödding: Im Moment ist es für einfache Empfehlung schlicht zu unübersichtlich. In welcher App will ich mir denn die Mühe machen, alle meine Reviereinrichtungen digital zu dokumentieren? Warum gerade in dieser App und nicht in der anderen? Und wer mehrmals eine digitale Revierkarte angelegt hat, weiß warum auch die Wahl der App wohlüberlegt sein will.

Ich warte jetzt erstmal die Messen ab. Nach der Farm & Food 4.0 (Berlin) werde ich die Jagd & Hund (Dortmund) und die IWA Outdoor Classics (Nürnberg) besuchen. Auch „Die Hohe Jagd & Fischerei“ (Salzburg) steht noch auf dem Plan. Die dann gesammelten Erkenntnisse über die vielen Produkte müssen geordnet und strukturiert werden. Die daraus entstehende Auswertung verschafft einen ersten Überblick. Gern würde ich mehr darüber lernen, was den einen oder anderen aus Nutzersicht bewegt. Vielleicht würde eine Umfrage helfen, was Jäger in diesem Zusammenhang suchen und wissen möchten. Die Erkenntnisse aus einer solchen Umfrage helfen bestimmt, Auswertungen noch mehr an der Praxis auszurichten.

Michael Gast: Thomas, vielen Dank, für Deine Darstellung des Digitailiserungstrends innerhalb der Jagdbranche. Ich denke, dass ich auf mindestens zwei der genannten Messen anwesend sein werde. Vielleicht haben wir ja die Gelegenheit gemeinsam die Messen und die Trends der Branche zu erkunden. Auf jeden Fall werde ich auf Dich in weiteren Gesprächen zurück kommen und freue mich schon jetzt auf Deine Erkenntnisse von den Messen! Eine Umfrage hatten wir auch im Plan. Im Februar werden wir unsere Leser zu diesen Themen ansprechen und nach ihren Bedürfnissen fragen.