Die Blattjagd ist eine der anspruchsvollsten und zugleich faszinierendsten Formen der Rehwildjagd. Sie lebt vom geschickten Imitieren typischer Lautäußerungen des Rehwildes – vor allem während der Blattzeit, also der Paarungszeit im Juli. Entscheidend für den Jagderfolg ist dabei nicht nur die Tonqualität, sondern auch das genaue Verständnis, welcher Laut in welcher Phase der Jagd eingesetzt werden sollte. Denn: Nicht jeder Ruf wirkt gleich, und ein falscher Laut zur falschen Zeit kann den Bock eher vergrämen als anlocken.
Der Fieplaut des Kitzes: Lockmittel für die Ricke – und damit für den Bock
Der leise, hohe Fieplaut eines Kitzes wird in der frühen Phase des Lockens eingesetzt. Er simuliert den Kontaktlaut eines hilfesuchenden Kitzes, was in der Natur die Ricke dazu veranlasst, sich auf den Ruf hin zu bewegen. Da sich der Bock zur Paarungszeit meist in der unmittelbaren Nähe einer Ricke aufhält oder ihr folgt, kann der Kitzfieplaut indirekt auch den Bock aus der Deckung locken.
Diese Phase ist besonders sinnvoll bei unklarer Wildverteilung oder wenn man weiß, dass eine Ricke mit Kitz in der Nähe „besetzt“ ist. Die Tonfolge ist weich und nicht zu schrill: drei kurze, gleichmäßige „fiep, fiep, fiep“-Laute mit längerer Pause dazwischen. Der Bock wird dabei nicht direkt angesprochen, sondern quasi „mitgebracht“.
Der Fieplaut der Ricke: Der klassische Brunftruf
In der nächsten Phase, wenn kein Wild auf den Kitzlaut reagiert hat oder wenn ein Bock bereits vermutet wird, folgt der klassische Fieplaut einer brunftbereiten Ricke. Dieser ist lauter und etwas gedehnter als der Kitzlaut. Er wirkt direkt auf den brunftigen Bock, löst Suchverhalten aus und macht territorial veranlagte Stücke unvorsichtig.
Typische Sequenz: zwei bis drei klar abgesetzte Fieplaute, dann 1-2 Minuten Pause. Wichtig ist die natürliche Intonation: leicht klagend, aber nicht schrill. Der Klang sollte „einladend“ wirken. Diese Phase ist ideal am frühen Morgen oder in der Abenddämmerung, wenn das Wild in Bewegung ist.
Der Pia-Laut der Ricke: Die „Unsicherheitsstimme“
Der Pia-Laut ist ein angespannter, fast nervöser Ruf. Er drückt Unsicherheit oder leichte Aufregung bei der Ricke aus. In der Natur entsteht er, wenn sich die Ricke von einem Bock bedrängt fühlt oder sich einem Rivalen gegenübergestellt sieht. In der Jagdpraxis wird er gezielt eingesetzt, wenn ein Bock zwar in der Nähe ist, aber nicht reagieren will oder misstrauisch ist.
Er zeigt dem Bock: „Etwas ist im Revier los, ein anderer Bock könnte an der Ricke sein.“ Das weckt den Konkurrenzinstinkt und bringt viele Böcke auf die Läufe. Der Laut ist kürzer und schneidender als der Fieplaut, und er sollte sparsam verwendet werden. Zwei bis drei Laute reichen, dann mehrere Minuten Pause.
Der Paniklaut der Ricke: Der Ruf der Verteidigung
Ein seltener, aber sehr wirksamer Lockruf ist der Panik- oder Angstlaut der Ricke. Er simuliert eine akute Bedrohungslage, z. B. durch einen anderen, aggressiven Bock oder einen Raubfeind. Dieser Ruf ist schrill, hektisch und anhaltend. Er signalisiert dem territorialen Bock: „Ein Nebenbuhler stört meine Ricke.“ Viele Böcke lassen sich davon zu plötzlichem Zustehen provozieren.
Vorsicht ist geboten: Der Paniklaut sollte nur dann verwendet werden, wenn die Situation passt und zuvor keine Reaktion auf andere Rufe erfolgt ist. Zu früh oder übertrieben eingesetzt, kann er das Wild nachhaltig vergrämen.
Taktik & Timing: Die Lockphasen geschickt kombinieren
Die hohe Kunst der Blattjagd liegt in der richtigen Abfolge und Kombination der Rufe:
- Phase 1: Kitzfiep – zum Locken der Ricke (und damit des Bocks)
- Phase 2: Rickenfiep – direktes Ansprechen des Bocks in Brunftstimmung
- Phase 3: Pia-Laut – Reizung oder Verstärkung, wenn keine Bewegung erfolgt
- Phase 4: Paniklaut – letzte Eskalation, wenn ein Bock vermutet wird, aber zögert
Zwischen den Phasen sollte immer ausreichend Zeit zum Beobachten gelassen werden. Wer zu hektisch kombiniert oder ohne sichtbaren Grund „hochschaltet“, riskiert den Jagderfolg. Wild reagiert emotional – deshalb muss das Lockspiel authentisch, logisch und nachvollziehbar aufgebaut sein.
Blatter-Modelle: Werkzeuge mit Charakter
Die Wahl des Blatters beeinflusst Tonqualität und Vielseitigkeit:
- Buttolo-Blatter: ideal für Kitz- und Rickenfieplaute, einfach in der Handhabung.
- Verstellbare Holzblatter (z. B. Weisskirchen): flexibel für Pia- und Paniklaute.
- Birkenrinde oder Mundblatter: für erfahrene Jäger mit Gespür für Klang, besonders naturnah.
Ein geübter Jäger kennt die Stärken seines Instruments und bereitet das Lockspiel entsprechend vor. Wichtig ist: vor dem Einsatz mehrfach übungsweise blatten und sich mit Tonlage und Wirkungsweise vertraut machen.
Fazit: Die Sprache der Blattzeit verstehen
Wer die Blattjagd meistern will, muss die Sprache des Rehwildes verstehen – und gezielt sprechen. Jeder Laut hat seinen Platz, jede Phase ihre Dynamik. Vom zarten Kitzfiep bis zum eskalierenden Paniklaut liegt die Wirkung in der natürlichen Darbietung und im Gespür für den Moment. So wird das Blatten zur jagdlichen Kunstform, die nicht nur den Erfolg bringt, sondern tiefe Einblicke in das Verhalten unserer Wildtiere erlaubt.
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